Leseprobe Der glückliche Prinz
ein Stück mit Musik nach dem Märchen von Oscar Wilde
Die Dächer von London. Grauer Himmel. Auf einer Säule die goldene Statue des „Glücklichen Prinzen“. Davor eine Dachschräge
1. Szene (Ausschnitt)
Ein Schwarm Schwalben ziehen über den grauen Himmel. Eine einzelne Schwalbe als Schlußlicht.
Krähe:
He, wartet auf mich. Wartet! Habt ihr keine Ohren im Kopf?
Ich bin nicht so schnell! Hey! Das könnt ihr nicht machen mit mir! Wartet auf miiiich!
Die Schwalbe stürzt mit einem Schrei ab. Ein dumpfer Knall. Dann kommt die Schwalbe sehr zerzaust auf die Dachschräge gekrabbelt.
Krähe:
Sie sind mir davongeflogen. Sie sind mir wirklich davongeflogen.
Mein eigener Schwarm! Schwärme schwärmen ZUSAMMEN! Deswegen heißen sie Schwärme. ICH PECHVOGEL!! ICH UNGLÜCKSRABE !!! ICH ÜBELKRÄHE!
Der Prinz dreht langsam den Kopf nach unten
Prinz:
Jetzt ist es aber genug.
Der kleine Vogel erschrickt zu Tode.
Krähe:
...Was?
Prinz:
Du bist zu laut.
Krähe:
Ich bin was?
Prinz:
Das ist ungehörig.
Krähe:
Du kannst ja reden.
Prinz:
Nur, wenn es sich nicht vermeiden läßt.
Krähe:
Konntest du schon immer reden?
Das Denkmal schweigt
Krähe:
Hey, ich hab dich was gefragt!
Prinz:
Es ist mir leider nicht möglich, mich mit dir zu unterhalten.
Krähe:
Warum nicht?
Prinz:
Wir wurden einander nicht vorgestellt.
Krähe:
Aha. Was ist das- einander vorstellen?
Prinz:
Das ist, wenn jemand sagt: Darf ich vorstellen; Prinz Tolliver of Montesque, Lady Bracknell, Whitehorse- Camberfield.
Musikakkord. Der Prinz macht eine angedeutete Verbeugung.
Krähe:
Aha. Und dieser Prinz, das bist du?
Prinz: Ja. Aber das gemeine Volk kennt mich nur als den;
Akkord "Glücklichen Prinzen".
Krähe:
Aha. Warum bist du der glückliche Prinz?
Prinz:
Weil ich nie weine.
Krähe:
Nie?
Prinz:
Ich sehe keinen Grund dazu.
Krähe:
Aber es gibt doch dauernd Grund zu weinen. Wenn einem was weh tut, zum Beispiel.
Prinz:
Mir tut nie etwas weh. Ich bin aus edlem Metall.Akkord
Krähe kratzt und klopft an dem Prinzen.
Die Harfe macht entsprechende Geräusche.
Krähe:
Ich wein' dauernd.
Prinz:
Ich habe es gehört.
Krähe:
Weil mir kalt ist. Weil ich so klein bin. Weil ich alleine bin.
Weil ich nix zu fressen kriege. Weil diese Arschlöcher ohne mich nach Ägypten geflogen sind-
Prinz:
DIESES Wort kenne ich nicht.
Krähe:
Ägypten? Das ist ein Land, wo immer die Sonne scheint. Im Süden. Da muß ich heute noch hin. Ungefähr da lang.zeigt
Prinz:
Ich WEISS, wo Süden ist. Ich gucke immer nach Süden. Da wo die herrlichen Gärten und die prächtigen Häuser liegen.
Krähe:
Kein Wunder, du hast nix zum Weinen. Vielleicht solltest du mal nach Norden gucken.
Prinz:
Was für eine Veranlassung hätte ich dazu?
Krähe:
Weil da die Gärten nicht so schön sind. Da gibt’s überhaupt keine Gärten. Nur Dreck und arme Leute und fette fiese Tauben, die einem das Fressen klauen!
Prinz:
Ich liebe Tauben.......
2. Szene (Ausschnitt)
Am nächsten Tag. Der Prinz hat nach Norden geguckt.
Prinz:
Aber das darf doch nicht sein!
Krähe:
Was?
Prinz:
Wir können doch hier nicht seelenruhig auf unserer prächtigen Säule stehen, über und über mit Blattgold bedeckt, die Augen zwei herrliche Saphire und am Finger diesen prächtigen Rubin, und dort unten hungern und frieren die Menschen!
Krähe:
Das tun WIR auch nicht. Das tust du ganz alleine.
Prinz:
Wir müssen etwas tun!
Krähe:
Ich bin kein bißchen mit Blattgold bedeckt. Höchstens mit Blattdreck. Über und über.
Prinz:
Wir haben eine Verantwortung.
Krähe:
Was heißt hier WIR? Was hab ich damit zu tun?
Prinz:
Gar nichts. Wenn wir wir sagen, meinen wir ich. Leute wie ich sagen wir, wenn sie ich meinen, weil wir ein bißchen mehr sind als ihr.
Krähe:
Wer?
Prinz:
Du. In unseren Kreisen nennt man das Pluralis Majestatis.
Krähe:
In unseren Kreisen nennt man das ziemlich bekloppt.
Prinz:
Ich will meinen Ring hergeben. Diesen herrlichen Ring-
Krähe:
Ist der echt?
Prinz:
Natürlich ist der echt.
Krähe:
So einen großen Rubin hab ich noch nie gesehen.
Prinz:
-diesen Rubin, in dessen Feuer die Geheimnisse des afrikanischen Dschungels lodern
Krähe:
Ehrlich gesagt, hab ich noch nie einen echten Rubin gesehen-
Prinz:
Wir werden ihn den Armen bringen, damit sie sich Schokolade und schöne Kleider kaufen können.
Krähe:
Nö. Brot.
Prinz:
Brot? Wieso Brot?
Krähe:
Schokolade krümelt nicht. Da fällt nichts ab.
Prinz:
Es käme mir nie in den Sinn, Brot zu kaufen, wenn ich statt dessen Schokolade bekommen könnte
Krähe:gierig
Echt ganz schön groß, dein Rubin.
Prinz: Ein erhebendes Gefühl. Wir werden den Armen helfen.
Krähe:
Ich nicht. Ich helf niemandem.
Prinz:
Aber ich kann nicht fort. Sobald die Sonne aufgeht und die Menschen mich sehen können, muß ich auf meiner Säule stehen.
Krähe:
Warum mußt du das?
Prinz:
Das ist mein Beruf.
Krähe:
Und wieso ausgerechnet ich?
Prinz:
Weil wir helfen wollen.
Krähe:
Ich will überhaupt nicht helfen. Ich will nach Ägypten
Prinz:
Wir werden uns viel besser fühlen, wenn wir eine gute Tat vollbracht haben.
Krähe:
Ist das jetzt wieder so ein Pluralis Majestatis?
Prinz:
Das ist eine Tatsache. Wir sind auf der Welt, um anderen beizustehen.
Krähe:
Guck mal an, Mister-Schloß-Ohnesorg-nix-gesehen-von-der-Welt. Wer hat dir denn den Quatsch erzählt?
Prinz:
Das haben wir gelesen.
Krähe:
Tu mir einen Gefallen und sag "wir", wenn du "wir" meinst und "Ich", wenn du "Ich" meinst. Ich hab überhaupt nichts gelesen.
Ich KANN überhaupt nicht lesen.
Der Prinz versucht, sich den Ring vom Finger zu ziehen.
Prinz:
Er steckt fest! Und gleich wird es hell.
Krähe:
Gott sei Dank. Dann hat der Unsinn hoffentlich ein Ende und ich ich darf endlich nach Ägypten fliegen.
Prinz:
Der Bildhauer hat ihn festgeschweißt.
Krähe:
Auf mich warten vier Monate Hochsommer. Soll ich die Sphinx von dir grüßen?
Es knackt. Der Prinz hat sich den Finger abgebrochen.
Prinz:
Der ist ab.
Krähe:
Sag mal, hast du sie nicht mehr alle? Das tut weh!!
Prinz:
Mir nicht. Hier, nimm.
Krähe:
Ihr reichen Leute habt doch alle einen Knall!
Prinz:
Die Sonne geht gleich auf.
Krähe:
Nimm deinen Finger von mir!
Prinz:
Bring ihn zu den Armen.
Krähe:
Ich denk überhaupt nicht daran.
Prinz:
Und wenn ich dich- bitte?
Krähe:
OH MANN!!!
Prinz:
Gib mir dein Ehrenwort.
Krähe:
Hör auf.
Prinz:
Gib mir dein Eh-
Der Prinz erstarrt. Musikende No 3.3.
Der Finger mit dem Ring fällt vor Krähe auf den Boden.
Krähe:
So ein Mist.
Und was mach ich jetzt?
No 4 Das Lied vom Ring
So'n Ding
wie'n Ring
ist schon ein Ding.
Wem der gehört
der ist was wert
so'n dicker Ring
ist nicht verkehrt.
Für so
'nen Ring
wenn man den nimmt
kriegt man bestimmt
ganz schon viel Moos-
das Ding ist bloß
das wär' nicht g'rade
unbedingt
die feine Art.
Mensch, ist der groß!
Verdammt noch mal,
was mach ich bloß?
Klau ich jetzt flink
mir diesen Ring
hätt ich das Dings
das ich gern möcht
doch allerdings
wär das nicht recht
im Gegenteil
das wäre link.
Mir doch egal
bin ich halt link!
Ich will den Ring
dann bin ich reich
und alles andre
ist mir gleich-
Allerdings-
nehm ich den Ring
dann bin ich schlecht.
Das wär mir aber
auch nicht recht.
Und wenn das ganze
noch mißlingt?
wenn man mich fing
mit diesem Ring
dann hing ich
ganz schön blöde drin.
weil ich ein Langer Finger bin.
Das wär so peinlich!
Wie ich seh
lohnt der Dreh
mit dem Ring
nur bedingt.
Und mir klingt
mein Instinkt
laß die Finger
von dem Ding.
So 'n Ding
wie'n Ring
ist schon ein Ding
Was son Ring
für 'n Ärger bringt!
Das is son Ding doch gar nicht wert
Nee! Da bring ich den Ring
lieber doch jetzt dahin
hin-
ge-
hört